Die Rosenstraße
Neulich, ich war gerade auf dem Weg zurück von meiner Japanischstunde, sah ich ein Licht in einem Schaufenster. Das war ungewöhnlich, denn mein Japanischunterricht endet erst um 21:30 Uhr. Ich lief auf das Schaufenster zu, als ich plötzlich bemerkte, dass ich alles um mich herum noch nie gesehen hatte. Die Häuser türmten sich meterhoch neben mir auf und erdrückten mich fast mit ihren dunklen, alten Fassaden. Der Asphalt war mittlerweile einem verwitterten Kopfsteinpflaster gewichen, das selbst durch meine dicken Schuhe schmerzhaft gegen meine Füße drückte. Als ich endlich vor dem Schaufenster zum Stehen kam, fiel mir auf, dass ich nur einige Meter gelaufen war, obwohl mir der Weg viel länger vorgekommen war. Ich las die Aufschrift, die, in schnörkeligen Buchstaben, weiß auf das kalte Glas gemalt worden war. Dort stand: „Antiquariat an der Rosenstraße“ und an einer kleinen, offensichtlich morschen Holztür hing ein Schild mit der Aufschrift: „geöffnet, treten Sie ein“. Obwohl ich bald zu Hause sein musste und eigentlich kein Geld dabeihatte, zog mich dieser Laden fast magisch an und ich ging hinein. Drinnen roch es alt und moderig, nicht anders als man es von einem Antiquariat erwarten würde. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich drehte mich ruckartig um. „Keine Sorge mein Kindchen, ich habe nur keinen Türstopper“, krächzte die alte Verkäuferin, die hinter dem Tresen aufgetaucht war. Ich wusste nicht, woher sie kam oder wie sie so schnell dorthin gekommen war, doch ich wollte es auch nicht wissen, ich war viel zu fasziniert von dem Inneren des Ladens. Alles war aus dunklem Holz und überall standen Schränke und Regale, die bis obenhin mit Büchern, Fläschchen und allem möglichen Ramsch gefüllt waren. Auf dem Boden standen Kisten mit Schallplatten und unterschiedlichem Geschirr. Ich fühlte mich nicht unbedingt wohl, doch es gefiel mir. In einer Ecke lag ein Armband auf dem Boden, ich hob es auf und ging damit zu der Verkäuferin. „Willst du es haben?“, fragte sie. „Ich habe kein Geld dabei“, erwiderte ich, doch die Alte sagte: „Das brauchst du nicht“. Ich bedankte mich höflich und ging. Als ich draußen war, zog ich das Armband an, plötzlich hörte ich ein Lachen in der Ferne, es klang nach der alten Verkäuferin aus dem Laden. Mein Herz schlug mir bis zum Halse, doch als weiter nichts passierte, beruhigte ich mich wieder. Ich ging eine Weile vor mich hin, als ich abrupt zum Stehen kam, ich stand immer noch auf dem Kopfsteinpflaster und Asphalt war nirgendwo in Sicht. Da war es wieder, das Herzklopfen, ich drehte mich panisch um, ich konnte mich doch unmöglich verlaufen haben. In der Ferne hörte ich Autos, doch woher kam das? Da fiel mir auf, dass die Straße nur wenige Meter vor mir anfing, ich war nur in die falsche Richtung gelaufen und in meiner Panik war mir nicht einmal aufgefallen, dass ich mich in ‚Richtung der Straße gedreht hatte. Ich lief hastig auf die nur spärlich beleuchtete Straße zu, nur um erneut und ebenso abrupt stehen zu bleiben. Mir waren zwei Sachen aufgefallen: Das Licht in dem Schaufenster war ausgegangen und sowohl das Schaufenster als auch die Autos, die eben für meine Erleichterung gesorgt hatten, waren verschwunden. Die Straße war menschenleer und totenstill, bis auf ein Lachen in der Ferne und Schritte, Schritte, die immer näher kamen.
An einem Mittwochabend wurde ein junges Mädchen vermisst gemeldet sie war am Abend des Vortages nicht nach Hause gekommen. Nur einen Tag später wurde sie wiedergefunden, in einer kleinen Seitengasse, völlig verstört und ihr fehlte die linke Hand. Nur einen Satz sagte sie zu ihren Eltern, bevor sie ging, um ihren Unfallort zu besuchen: „Wenn ich sie finde, glaubt ihr mir dann?“
von Rahel H